Grenzen und Respekt im alltäglichen Umgang miteinander…

 

…oder: Der gewünschteste Wunschjob aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn.

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💥Hey, du machst doch heute eh noch Überstunden, könntest du die Vorbereitung für unser Kundenevent bitte auch noch kurz anschauen? „Ja, gerne.”

💥Die Präsentation muss noch überarbeitet werden, machst du das schnell? „Ja, kein Problem.”

💥Ich zieh am Samstag um, kannst du mir helfen? „Ja, um wie viel Uhr soll ich da sein?”

💥Ich muss das Projekt bis heute Abend fertig haben, du bist doch so gut darin, kannst du das schnell für mich übernehmen? „Ok, leg es auf meinen Schreibtisch.”

Jeder von uns kennt diese Situationen. Schnell geschieht es, dass wir (den allgemeinen Wunsch verspürend Freunden zu helfen) über unseren Schatten springen und unseren Freunden, Familienangehörigen und Kollegen zu helfen, obwohl wir uns instinktiv dagegen wehren.

Das «Ja» sprintet wie Usain Bolt über unsere Lippen, kaum erahnen wir den Startschuss. Was bleibt, ist das zufriedene Lächeln unseres Gegenübers und das mulmige Gefühl in unserer Magengegend.

Die Frage ist: Warum? Was ist passiert? Und wie können wir dies verhindern?


Mit der Macht kommt die Verantwortung

Nur wenige sind sich dessen bewusst, dass sie viele dieser Muster und Verhaltensweisen bereits aus ihrer Kindheit kennen. Durch die Eltern geprägt, nimmt jeder seine emotionalen Verhaltensweisen und unbewusste Mechanismen mit in sein Erwachsenen-Dasein – auch in den Job. Uns wurde beigebracht, dass wir in jeder Situation vernünftig und flexibel reagieren sollen. Kritik, Grenzüberschreitung und Kränkungen entschlüpften den Erwachsenen oft, noch bevor sie über ihre Taten nachdenken konnten. Dabei lag es an ihnen die Verantwortung für die Qualität des wechselseitigen Umgangs zu pflegen, die Macht welche mit Ihrer Position einher ging so zu gebrauchen, dass sie als Vorbildfunktion diente und keine permanente Kooperation der Kinder abverlangte.


GrenzeN & Respekt

Jedem von uns, ob Leader oder nicht, wäre dringend angeraten einen neuerlichen, inneren Prozess durchlaufen. Denn die eigenen Grenzen kennen zu lernen und auch für diese einstehen zu können, ist für das psychische und physische Wohlbefinden dringend notwendig. Wer seine Co-Abhängigkeit, Zwänge, Muster und Mechanismen sehen und akzeptieren kann, ist in der Lage los zu lassen, neue Synapsen zu bilden und neue Wege zu beschreiten. Ein gesunderes, glücklicheres Leben zu führen - mit sich und anderen.

Wo liegen unsere Grenzen?

Jesper Juul (dänischer Familientherapeut und Gründer des Kempler Institute of Scandinavia) [1] teilt Grenzen in zwei Bereiche ein:

  1. Generelle Grenzen – sind allgemein und gelten kulturell, bei der Arbeit, in der Schule etc.

  2. Persönliche Grenzen – sind individueller Art, geprägt von Temperament, Hintergründe, Wertvorstellungen etc.

Bei generellen Grenzen heisst es unterscheiden zu lernen, was wir ändern können und was wir akzeptieren lernen müssen, weil es nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt und unsere Reslienz zu stärken.

Was aber die persönlichen Grenzen anbelangt, so gilt es folgendes zu hinterfragen:

👉Welche Grenzen brauche wir um uns herum, um uns wohl fühlen zu können?

👉Wie grenzen wir uns so ab, dass wir Kontakt und Nähe so etablieren können, dass es uns dabei gut geht?

Um dem auf den Grund zu gehen, hilft uns die Beobachtung unserer Gefühle beim Lesen dieser Fragen:

  • Wie selbst-bewusst bin ich? (Wie) Nehme ich mich wahr, (wie) spüre mich? Sehe ich mich durch die Augen meiner Umgebung?

  • Wie steht es mit meinem Selbst-Wert-Gefühl? Ist dieses Gesund? Bin ich nur etwas wert, wenn ich viel liefere, Überstunden mache und mich nie beschwere?

  • Mache ich meine Umgebung (un-bewusst) für mein psychisches Wohlbefinden verantwortlich?

  • Wie steht es mit meinem Selbst-Vertrauen? Was traue ich mir zu? Wie oft traue ich mich aus meiner Komfortzone hinaus, hinein ins Ungewisse und versuche neue Wege zu beschreiten?

  • Stelle ich die Zufriedenheit und das Glück andrer vor meine eigenen Bedürfnisse?

  • Wie fühle ich mich, wenn ich nein sage? Geht es mir dabei gut, oder fühle ich mich schlecht/habe ich ein schlechtes Gewissen?

  • Kann ich meine Gefühle und Emotionen jederzeit kommunizieren und voll dahinterstehen, ohne die Konsequenzen zu fürchten?

  • Sage ich «ja» wenn ich «ja» meine, oder sage ich «ja», auch wenn ich «nein» sagen will?

  • Bin ich bereit mich in Frage zu stellen, nehme ich Vorschläge an oder diese als Kritik wahr und fühle mich persönlich davon betroffen/angegriffen?

  • Nehme ich Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, regen Austausch in Kauf, oder gehe ich diesen lieber aus dem Weg?

Wer bei der Beantwortung dieser Fragen ein ungutes Gefühl hatte und sich eventuell sogar ertappt fühlte, wird sich freuen zu erfahren, dass es eine Lösung dafür gibt. 

Das Ziel ist es, sich selbst zu fühlen, fokussiert bei und mit sich, zentriert und vor allem mutig zu sein. Für sich einzustehen und sich mit einem «NEIN» vor einem «Ja» zu schützen.

Richtig gehört denn:

Das Wort Nein ist ein selbst-Schutz

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Man stelle sich folgende Situation vor: Es ist Mittagspause, endlich. Ein Telemarketing-Agent ruft genau in jenem Moment an, in dem wir die Gabel zu unserem Mund führen. Wir nehmen widerwillig das Telefonat an und wissen, er versucht uns etwas zu verkaufen. Wir sind genervt, möchten so schnell wie möglich wieder auflegen. Die offensichtliche Antwort auf seine Frage, ob wir gerne Wasser trinken lautet «ja», obwohl wir am liebsten «nein» sagen würden. Warum? Weil wir nach dieser Frage instinktiv wissen, dass ein manipulatives und aufgezwungenes Gespräch auf uns warten wird.

Was also tun?

Vorab: Es gibt zweierlei Arten des «Ja». Das abschliessende und das allgemeine. Uns wurde während unserer Kindheit beigebracht, dass das Wort «Ja» ein gutes Gefühl in uns hervorruft. Wir gehen heutzutage immer noch irrtümlich davon aus, dass ein «Ja» positiv und ein «Nein» (als Gegenteil des «Ja») negativ anzusehen sind.

Nichts könnte der Tatsache weniger entsprechen!


Lieber ein ehrliches nein, als ein geheucheltes ja

Chris Voss (seit über 24 Jahren beim FBI als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen) schreibt in «Kompromisslos verhandeln – die Strategien und Methoden des Verhandlungsführers des FBI» [2]:

«Nein» zu sagen vermittelt dem, der dieses Wort ausspricht, das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Sie stellen eine Frage, die bei Ihrem Gegenüber ein «Nein» als Antwort auslöst, und Ihr Gesprächspartner wird das Gefühl haben, mit der Ablehnung habe er die Kontrolle über das Gespräch gewonnen. Gute Verhandlungsführer begrüssen und laden sogar zu einem soliden «Nein» zu Verhandlungsbeginn ein – als ein Zeichen, dass Ihr Gegenüber engagiert ist und nachdenkt.

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Er schreibt weiter: Wir wissen, dass wir immer nach einer sogenannten Win-win-Lösung – einer Lösung, von der beide Seiten profitieren – suchen sollen... Nein. Schlicht und einfach nein. Die Win-win-Mentalität, die so viele Verhandlungen bestimmt, ist üblicherweise ineffektiv und oft sogar katastrophal. Im besten Fall stellt sich keine Seite zufrieden. Und wenn Sie sich auf einen Widersacher anwenden, der eine Sieger-Verlierer-Mentalität hat, programmieren Sie sich darauf, betrogen zu werden… Das wahre Problem bei Kompromissen ist, dass sie sich den Ruf eines grossartigen Konzepts erworben haben, in Beziehungen, in der Politik und allen anderen Lebensbereichen. Kompromisse, so heisst es sind gut…»

So könnte manch einer argumentieren, dass WIN-WIN nicht das gleiche sei wie ein Kompromiss, denn ein Kompromiss sei öfters faul, ein WIN-WIN nicht.

Nehmen wir beispielsweise eine Orange und zwei Menschen, die beide diese Orange wollen. Ein Kompromiss wäre: Jeder bekommt einen Teil. Aber frage man Sie nach Bedürfnis und Verwendung, dem «WARUM möchtest du sie haben», würde der eine «ich möchte Saft daraus machen» und der andere «ich brauche nur die Schale» sagen, so hätten wir eine sogenannte WIN-WIN Situation. Dies kommt allerdings in den seltensten Fällen vor. Sollte nicht von Anfang an klar sein, dass beide einen effektiven Nutzen von einem Ergebnis haben, der beide gleichermassen zufrieden stellt, ist dies ein Kompromiss – und dieser ist in den meisten Fällen faul. Wie oben geschrieben, sollte nicht nach einer Lösung gesucht werden, von der beide Seiten profitieren. 

über das «persönliche-Vorteile-Denken» hinaus wachseN

Wir wissen, dass die Motivatoren der meisten Menschen entweder Angst oder der Wunsch sind Schmerz zu vermeiden. Nur wenige von uns sind so bewusst und in der Lage, sich von ihren echten / gesunden Zielen treiben zu lassen, diese fokussiert zu verfolgen, zu verbalisieren und wertfrei zu kommunizieren. 

Kreativen Lösungen geht fast immer ein gewisses Risiko, ein gewisses Mass an Ärger, Verwirrung und Konflikt voraus. Anpassung und Kompromisse sind eine Vermeidestrategie, schreibt C. Voss.  

Niko Kaintantzis, welcher beispielsweise sowohl SAFe® SPCT als auch Systemischer Coach ist, verhilft (agilen) Führungskräften, Agile Team Leadern u.v.m. während eines Systemischen Coachings dabei, sich über ihre Werte und ihre Kultur, sowie ihre Stärken und Ressourcen bewusst zu werden, kreative Lösungen zu finden und Opportunitäten am Schopf zu packen.

Denn wenn wir einmal angefangen haben, den Prozess in Gang zu setzen und für uns einzustehen, ist es wichtig, vor eventuellen Phasen der Auseinandersetzungen nicht zurückzuschrecken. Uns darin zu üben, durch sie hindurchzugehen, um ganz bei uns anzukommen, uns zu spüren, unsere Grenzen zu kennen, diese einfordern zu können und uns «in Ordnung», zu fühlen.

So können wir das nächste Mal, wenn uns jemand fragt, ob wir nicht schnell noch die Winterreifen montieren können, wenn wir eh schon dabei sind, unsere zu wechseln, mit einem freundlichen Lächeln und Nonchalance sagen: „Nein, sorry. Aber später können wir uns gerne auf ein Bier treffen.”


Fazit

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Um Grenzen zu setzen und auch fordern zu können brauchen wir nicht nur Mut, sondern auch die Voraussetzung in uns hinein blicken zu wollen.

Gesundes Selbst-Bewusstsein, Selbst-Wertgefühl, Selbst-Vertrauen, Reflexion und Grenzen Setzung sind unerlässliches für ein positives und konstruktives Miteinander – sowohl im Privatleben als auch im Job. Um fröhlich, innovativ und entspannt zu sein, um sich auf einen Austausch mit unserem Gegenüber zu freuen, offen dafür zu sein. Dazu bedarf es allerdings den Willen an sich zu arbeiten, die längst verstaubten Leichen aus dem Keller zu holen, dem inneren Schweinehund ein Kotelett hin zu werfen und ihm guten Appetit zu wünschen, während wir uns mutig auf den Weg in einen Paradigmenwechsel machen.

Der erste Schritt ist, sich Zeit für sich zu nehmen. Zeit zur Reflektion und dabei unterstützend mit einem Mentor oder Coach zu sprechen.

Gerüstet mit den Erkenntnissen, dass alle davon profitieren und so der gewünschteste Wunschjob aller Zeiten uns nicht mehr in den Wahnsinn treiben kann.


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Autorin: Delia Fiori