Kollegiale Führung - Teil 3: Agile Organisation mit kollegialer Führung

 

Im 1. Teil habe ich dargestellt, dass die Bindung zum Arbeitgeber und somit auch die Motivation der Mitarbeiter im Schnitt recht gering ist und dadurch ein grosses Potential nicht ausgeschöpft wird.

Im 2. Teil habe ich aufgezeigt, warum die Inhaber und heutigen Führungskräfte mehrheitlich darin scheitern, die Situation nachhaltig zu verbessern. Ein grundlegendes Umdenken und somit andere Rahmenbedingungen sind heutzutage notwendig geworden. 

Aber was soll denn nun an den Rahmenbedingungen geändert werden?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir erst einmal folgender Frage nachgehen: “Wie schaffen wir es denn, dass Mitarbeiter mitdenken, Verantwortung übernehmen, motiviert für die Firma tätig sind und für eine hohe Kundenzufriedenheit besorgt sind?”

Dan Pink hat in seinem Buch "Drive - The surprising truth what motivates us!" klar aufgezeigt, was speziell Wissensarbeiter motiviert. Eins sei vorweg gleich gesagt, individuelle Ziele und Bonus tun es nicht.

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Drei Dinge sind vorrangig wichtig:

Autonomie - innerhalb definierten Rahmenbedingungen selber entscheiden zu können, was ich wie beitragen möchte.

Können verbessern - an den Aufgaben wachsen und sich dabei verbessern können.

Sinnhaftigkeit im Tun - einen Sinn im eigenen Tun sehen und einem grösseren Zweck dienen.

Wir brauchen also eine Umgebung, in der die Mitarbeiter mitbestimmen dürfen, selbständig Verantwortung übernehmen, die Gelegenheit erhalten, zu lernen und an Aufgaben zu wachsen und sich zu entwickeln. Nicht zuletzt müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen persönlichen Sinn in ihrer Aufgabe sehen, um voll und ganz hinter der Vision und den Zielen des Arbeitgebers stehen zu können. Da bietet sich aus heutiger Sicht die Agilität an.


Agilität in der gesamten Organisation

Agiles Vorgehen in der Softwareentwicklung wurde nicht erst seit dem Formulieren des Manifests für agile Softwareentwicklung im Jahr 2001 praktiziert. Schon viele Jahre vorher wurde mit IAD/RAD, Extreme Programming (XP) und nicht zuletzt mit Scrum die grundlegenden Praktiken und Vorgehen geschaffen, aus denen der Begriff Agilität hervorgegangen ist.  Mit dem agilen Manifest wurden die Grundsätze und Prinzipien definiert, die bis heute gültig sind und in grossen Organisationen leicht angepasst und erweitert werden müssen. Die Begründer des agilen Manifests waren überzeugt, dass es bessere Wege gibt, Softwarelösungen zu bauen, als das durchgeplante Wasserfall-Vorgehen, wo Termin, Qualität und Kosten kaum oder gar nicht zu halten waren.

Agilität funktioniert nicht nur in der Software-Entwicklung. Ganze Geschäftsbereiche lassen sich heute nach agilen Prinzipien, Prozessen und Praktiken organisieren. Doch meistens tun sich die Inhaber und das Management schwer auch ihre Führungsprinzipien anzupassen, denn sie befinden sich in dem in Teil 2 beschriebenen Dilemma.

Es braucht also den Willen und die Absicht der Inhaber, die Firmenstrukturen und die damit einhergehenden Rahmenbedingungen grundlegend zu verändern.

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Der Engagement Index als Ergebnis einer gross angelegten Studie der Gallup über die emotionale Bindung der Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber zeigt auf, dass in agilen Unternehmen

  • die Mitarbeiter überzeugt sind, dass sie der Konkurrenz voraus sind

  • die Mitarbeiter Vertrauen in die finanzielle Zukunft des Unternehmens haben

  • die Überzeugung überwiegt, dass die Kolleginnen und Kollegen das richtige tun

  • die Qualität die gleiche Priorität wie Lieferzeit und Kosten hat

Daraus leiten wir ab, dass in einer agilen Organisation die besseren Rahmenbedingungen geschaffen werden können, innerhalb derer eine deutliche bessere Arbeitsumgebung existiert.

Inhaber wollen Führung und Verantwortung abgeben

Die Gründung, der Aufbau und die Entwicklung der Unternehmen hat von den Inhabern viel Zeit, Energie und Entbehrung gefordert. Irgendwann ist die Zeit gekommen die Führung und die Verantwortung abzugeben. Vielleicht wurde dies schon vor einiger Zeit gemacht; die aktuellen Führungskräfte schaffen es aber nicht, die Unternehmung an die immer schneller verändernden Gegebenheiten des Marktes anzupassen, den Umsatz und die Marktanteile zu halten, geschweige denn auszubauen. Auch werden die notwendigen Mitarbeiter nicht mehr gefunden oder bestehende Mitarbeiter sind schwierig zu halten, weil keine Entwicklungsmöglichkeit in der Firma geboten werden kann.

Im Buch "Das kollegial geführte Unternehmen" 2016 von Bernd Oestereich und Claudia Schröder nennen sie folgende Themen als Motivation der Inhaber etwas grundlegend zu ändern zu wollen:

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  1. Anpassungsfähigkeit des Unternehmens erhöhen

  2. Persönliche Belastung reduzieren

  3. Verantwortung verteilen

  4. Persönliche Freiheit für Neues gewinnen

  5. Nachfolge finden, Kinder freihalten

  6. Attraktivität für und Zufriedenheit von Mitarbeitern erhöhen

Dies zeigt doch, dass Inhaber und Mitarbeiter die gleichen Ziele verfolgen, was mich persönlich zuversichtlich stimmt, dass dies auch erreicht werden kann.

Die eigene Firma auf Agilität umstellen

Hier sei nun die Frage erlaubt: “Was muss nun alles geändert werden, damit die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert, das Vertrauen der Mitarbeiter und somit die Bindung zum Unternehmen erhöht und die Qualität und Lieferzeit weiter verbessert werden können?”

Wie starte ich den Prozess und welches Prozessmodell soll ich umsetzen, damit ich die Transformation schaffe?

Eines sei hier gleich vorweggenommen: Es ist nicht möglich, nur ein wenig agil zu sein. Entweder die Firma geht in eine Transformation, als Ganzes auf agile Prozesse und Praktiken umzustellen oder man lässt es sein.

Natürlich kann mit Unterstützung eines erfahrenen Beraters “auf der grünen Wiese” begonnen werden, können agile Prozesse und Werkzeuge wie Kanban und Scrum eingeführt werden. Es ist jedoch ein langer und beschwerlicher Weg, bis das gesamte Unternehmen umgestellt ist.

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Ich empfehle deshalb eine Methode zu wählen, die auch klar aufzeigt, mit welcher Vorgehensweise eine Unternehmung in eine agile Organisationsform kommt und diese weiter ausbauen kann, und nicht nur eine fertige “angeblich richtige Struktur” darstellt. Denn die Transformation ist der Weg zum neuen Mindset und der neuen Kultur. Dieser muss gegangen und kann nicht abgekürzt werden.

Es gibt sicherlich verschiedene Herangehensweisen, wie eine agile Organisationsentwicklung umgesetzt werden kann.

Ich möchte in diesem Artikel das Vorgehen der "kollegial geführten Organisationsentwicklung" vorstellen, da wir es in der eigenen Firma anwenden und leben.

Kollegial geführte, agile Organisationsentwicklung

Die folgende Beschreibung stammt aus dem Buch "Das kollegial geführte Unternehmen" (2016) von Bernd Oestereich und Claudia Schröder.

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Führung ist zu wichtig, um sie nur Führungskräften zu überlassen.

Kollegiale Führung ist die auf viele Kollegen und Kolleginnen dynamisch und dezentral verteilte Führungsarbeit anstelle von zentralisierter Führung durch einige exklusive Führungskräfte.

Die Basiselemente der kollegial geführten agilen Organisationsentwicklung (kurz "kollegiale Führung") sind:

  1. Eine professionelle systemische-integrale Haltung der externen Organisationsbegleiter und der Bereitschaft der Auftraggeberin, diese zu adaptieren.

  2. Ein kleinschrittiges erprobendes Herantasten mit übergangsweiser oder dauerhafter Koexistenz zu den bestehenden Führungssystemen - an Stelle einer abrupten und kompletten Ablösung.

  3. Eine kollegial verteilte und ziehende Führung, also Führungsarbeit nach dem Sogprinzip - statt von oben nach dem Push-Prinzip vorgegebenen Change-Massnahmen.

  4. Klare äussere Rahmenbedingungen, die den kollegial gestaltbaren Rahmen von den nicht disponierbaren Führungsinhalten eindeutig abgrenzen.

  5. Klare innere Struktur- und Prozessinitiativen zum Start, mit denen die Kollegenschaft direkt in die Selbstorganisation starten kann, ohne durch Beliebigkeit, Offenheit oder Schulungen überfordert zu werden.

Die kollegiale Führung bietet eine Sammlung bewährter Praktiken, Prinzipien und Werte aus lean/agile Software-Entwicklung, Soziokratie, Spiral Dinamics, der Systemtheorie und vieles mehr.

Wichtige Elemente der Kollegialen führung

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Kreisorganisation

Die kollegiale Kreisorganisation ist eine Synthese aus sozio- und holokratischer Kreisorganisation, Netzwerkorganisation, Systemtheorie, systemischer Organisationsentwicklung und reflektierter Praxis agiler Unternehmen.

Jeder Kreis hat eine Grösse von 5 - 10 Kollegen, hat eine definierte Aufgabe / Zuständigkeit. Die Aufgaben und die Verantwortung wird über Rollen geregelt, von denen nur ein paar wenige bei allen Kreisen besetzt sind.

Die Führungsrichtung geht von aussen (Markt, Kunden) nach innen zum Inhaber.

Die Kommunikation und Koordination geschieht über Delegation und direkte Beziehung.


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Delegationsmatrix

Die Transformation der Organisation beginnt beim Inhaber, der bestimmt, welche Führungsthemen unter welchen Rahmenbedingungen an die Kollegenschaft abgegeben wird.

Dies wird in der Delegationsmatrix festgehalten. Die Kollegenschaft darf nun diese Führungsaufgaben schrittweise übernehmen und verantworten.


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Führungsmonitor / Company Board

Alle Veränderungen werden im Führungsmonitor (Kanban-Bord) aufgeführt und überwacht.

Bei allen Änderungen erfolgt erst eine Beurteilung, ob dies gerade jetzt angegangen werden soll. Wenn ja, werden die Prüf- oder Erfolgskriterien festgelegt, an denen gemessen werden soll. Erst wenn eine Lösung die erwartete Wirkung erzielt, wird sie in der gesamten Organisation angewendet.


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Entscheidungswerkzeuge

Bei allen Entscheiden wird in der kollegialen Führung stets angestrebt, diese so rasch wie möglich zu fällen. “Lieber einmal um Verzeihung bitten, als dauernd um Erlaubnis zu fragen.”

Damit der Prozess der Organisationsentwicklung mit wenig Tooldiskussionen gelebt werden kann, bietet die kollegiale Führung eine Sammlung von Werkzeugen, mit denen nahezu alle Entscheidungen gefällt werden können.

Hier empfiehlt es sich, in der Anfangsphase einen erfahrenen Berater und Coach beizuziehen, damit die Kolleginnen und Kollegen sich auf den Inhalt konzentrieren können.

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Alle Grafiken sind lizenziert unter Creative Commons "Namensnennung 4.0". Kommerzielle Verwendung bei Nennung des Rechteinhabers erlaubt: Bernd Oestereich, Claudia Schröder (https://kollegiale-fuehrung.de)


Begriffe:

Kollegiale Führung ist ein Begriff, den Bernd Oestereich und Clauda Schröder 2016 mit dem Buch „Das kollegiale geführte Unternehmen“ geprägt haben und in dem sie die bis dahin gewonnenen unternehmerischen Erfahrungen zusammengefasst haben. Mittlerweile ist kollegiale Führung ein Basiselement agiler Organisationsentwicklung geworden – das Thema des neuen Buches (11/2019).

IAD/RAD steht für Iterative Application Development/Rapid Application Development. Ein Vorgehen, in dem eine Lösung in kleinen Schritten aufgebaut wurde und rasch Feedback vom Benutzer eingeholt wurde.

Quellen:

Manifest für agile Software-Entwicklung ©2001 (https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html)

Engagement Index Deutschland, Gallup (https://www.gallup.de/183104/engagement-index-deutschland.aspx)

Unterlagen Basislehrgang "Agiler Organisationsbegleiter" - Werkstatt für kollegiale Führung (https://kollegiale-fuehrung.de).


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