Kollegiale Führung - Teil 2: Wir brauchen richtige Rahmenbedingungen

 

Im ersten Teil habe ich darauf hingewiesen, dass in der Schweiz weniger als 15% der Mitarbeitenden eine starke Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben und dass wir im Vergleich zu Deutschland schlechter abschliessen.

Durch diese fehlende Verbundenheit entgehen der Volkswirtschaft jährlich 50 Milliarden Franken.

Nachdem die erste Überraschung bezüglich der fehlenden Verbundenheit der meisten Mitarbeiter in den Unternehmungen mal akzeptiert ist und eventuell auch mit einem angepassten Net Promoter Score die Situation in der eigenen Firma zu Tage gebracht wurde, wäre interessant zu wissen, was denn die Vorteile einer höheren Verbundenheit sind.

Hier die wichtigsten Erkenntnisse:

👍weniger Arbeitsunfälle

👍geringere Fluktuation → Mitarbeiter bleiben der Firma viel länger treu

👍weniger Abwesenheiten

👍weniger Qualitätsmängel und Reklamationen der Kunden

👍höhere Produktivität

👍höhere Rentabilität

Warum schaffen es viele Unternehmen nicht, die Situation zu verbessern und somit die Wettbewerbsfähigkeit und das Vertrauen der Mitarbeiter in den eigenen Arbeitgeber zu steigern?

Um für diese Frage eine Antwort zu finden, müssen wir verstehen, woher die heute noch stark verbreiteten hierarchischen Strukturen der Unternehmen stammen.


Grundlagen heutiger Management-Lehren

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Die Grundlagen der heute immer noch gelebten Management-Lehre wurden zu grossen Teilen vor mehr als 100 Jahren von Frederik Winslow Taylor (1856 - 1915) in seinem Werk "The Principles of Sientific Management" geschaffen. Er vertritt die Ansicht, dass für jede menschliche Tätigkeit die "allein richtige" Bewegungsfolge zu ermitteln ist.

Heute sehen wir die Auswirkungen immer noch in den vielen Geschäftsprozessen, die bis ins kleinste Detail definiert sind und den Mitarbeitern "helfen" sollen, ihre Arbeit richtig zu tun. Leider sind viele Prozessdefinitionen allgemein gehalten und das Wissen der Mitarbeiter wird dabei kaum berücksichtigt.

Das Taylor-Modell vertritt auch die Ansicht, dass Führungskräfte entscheiden und Mitarbeiter ausführen. Damit aber in dem immer komplexeren Umfeld rasch die richtigen Entscheide getroffen werden können, ist umfangreiches Wissen notwendig, das lokal bei den Mitarbeitern vorhanden ist. Dieses Wissen wird nun zentral bei den Führungskräften in Form von Berichten und Kennzahlen gesammelt und zu Kernaussagen verdichtet. Auf diese Art werden Fakten geschaffen, die so nie existiert haben. Die Führungskraft hat nun "umfassenderes" Wissen und kann daher bessere Entscheiden treffen. Ist dieses Wissen objektiv? Ich denke nicht, es wird auf dem Weg durch die Hierarchie gefiltert, interpretiert, getilgt, verzerrt und vom Empfänger selbst gedeutet.

Die Führungskräfte sind in einem Dilemma

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Entscheiden und Handeln sind in hierarchischen Organisationen getrennt. Dies war zu Zeiten der Manufaktur bis etwa 1910 sinnvoll, da zu dieser Zeit die Mitarbeiter kaum gebildet waren und diese in den Werkstätten und Fabriken nur einfache Arbeitsschritte nach genauer Abfolge ausführen mussten. Dieses Machtgefälle passt jedoch nicht mehr zu einer Arbeit in einem komplexen Arbeitsumfeld mit vielen sozialen Verbindungen und gut ausgebildeten Mitarbeitern. Schon die reine Möglichkeit der Führungskraft, über Gehalt, Prämien, Beförderung und Privilegien zu entscheiden, verhindert freie Beiträge und Entscheidungen bei den Mitarbeitern. 



Die disziplinarische und inhaltliche Führung sollte unbedingt getrennt sein

John P. Kotter, Professor für Führungsmanagement meint dazu: "Niemand kann Leader und Manager in einem sein". Diese Situation ist aber in den meisten Unternehmen Standard und das Management gerät in die Klemme. Die Personen in den mittleren Management-Stufen geraten in ein Dilemma, weil sie von oben mit oft sinnlosen quantitativen Vorgaben getrieben werden, deren Erreichung fest mit Bonuszahlungen verbunden ist.

Und nach unten hin soll er offen, ehrlich und partizipativ führen. Zudem ist auch klar, dass Führungskräfte Träume, Ängste, Gefühle, ein eigenes Ego und eigene Interessen haben. Dazwischen werden sie aufgerieben. Zur scheinbaren Lösung dieses Dilemmas besuchen sie Führungskräftetrainings oder lesen neue Management-Bücher, um daraus Ideen zur Verbesserung zu erhalten. Alle dies Bemühungen helfen hier nicht, weil die Ursache im Arbeitskontext und den Rahmenbedingungen der Betroffenen liegt.

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Die Auswirkungen dieses Dilemmas bei den Führungskräften werden auch von den Inhabern wahrgenommen. Speziell in kleineren und mittleren Firmen sind sie oft auch gleich Geschäftsführer oder sind selber in Führungspositionen tätig. Sie versuchen nun oft mit persönlichem Einsatz auszugleichen, was ihre eigenen Führungspersonen in den unteren Stufen nicht schaffen. Nicht selten werden "unfähige" Führungspersonen entlassen und durch andere mit der gleichen Ausbildung ersetzt, die zu Beginn noch keine emotionale Beziehung zu den Mitarbeitern haben und so die Ziele hartnäckiger verfolgen können, was wiederum die Bindung der Mitarbeiter zur Firma und deren Motivation, in schwierigen Zeiten mehr zu leisten, reduziert. So schliesst sich der Kreis der ewigen Veränderungen in den gleichen Strukturen und Rahmenbedingungen.

Daraus ist nur ein Schluss zulässig: Wir brauchen nicht bessere Manager, sondern andere Rahmenbedingungen.

Wie das geht findet ihr in Teil 3… ➡️


Autor: Ulrich Brawand


Lese noch kollegiale Führung Teil 1 um dir einen gesamtheitlichen Überblick machen zu können.